Man kennt mich als KDE-Nutzer. Schon vor Jahren hatte ich mehrmals einen GNOME-Desktop ausprobiert, aber irgendwie war ich stets nach wenigen Minuten auf Dinge gestoßen die man nicht (auf normalem Wege) einstellen konnte und die einfach "anders" waren als ich es gerne gehabt hätte. Mit freier Software verbinde ich grundsätzlich auch dass eine Software sich an die Wünsche des Nutzers anpassen kann und das war bei KDE immer wesentlich einfacher zu haben als bei GNOME.
Ich habe also stets KDE gelobt und fand GNOME beschränkt, zu "appelig" und irgendwie nicht nutzbar. Und die für GNOME entwickelten Standardprogramme waren auch schon lange ein großes Problem.
Sogar das KDE-4-Desaster habe ich zähneknirschend über mich ergehen lassen. Nachdem aber KDE nun auch in den jetzt aktuellen Versionen vor (für den einfachen Anwender) nervtötenden Fehlern nur so strotzt, habe ich mich entschieden, dass ich für meine Kunden und meine Familie zukünftig GNOME verwenden möchte und habe dieses völlig vorurteilsfrei auf meinem Desktop installiert um Erfahrungen damit zu gewinnen. Das ist jetzt ungefähr 4 Wochen her und die ersten Nutzer sind schon auf erfolgreich GNOME umgestellt. Für einfache Anwender hat GNOME den großen Vorteil, dass es nicht mit offensichtlichen Fehlern nervt.
Wie sieht es aber mit meinen eigenen Erfahrungen aus? Nach 4 Wochen Dauernutzung kann ich guten Gewissens sagen: Der Test war ohne Vorurteile. Und ich habe gemerkt, dass beide genannten Alternativen unerwartet gravierende Schwächen haben.
Ich möchte mich hier vor allem auf die Schwächen der Programme stürzen, die ich im Rahmen des Tests ausprobiert habe.
E-Mail
Für mich ist das E-Mail-Programm das grundlegende Anwendungsprogramm meiner täglichen Arbeit. Ich kommuniziere mit Kunden und Freunden und empfange E-Mails für verschiedene Sachgebiete. Meine E-Mail-Infrastruktur ist eine IMAP-Mailbox in die die Nachrichten serverseitig sortiert werden. Dies ist absichtlich so und soll auch so bleiben. Die Aufgabe des E-Mail-Programmes ist (in diesem Kontext) auf solide funktionierende Grundfunktionen beschränkt.
KMail hat die funktionellen Anforderungen bravurös erfüllt, versagt aber kläglich an dem kleinen Wort "solide". Neben nervigen Bugs wie dem
URL-Zeilenumbruch-Bug oder dem
Identity-Bug oder schlicht der Tatsache dass es auch bis dato noch nicht möglich ist unter KDE 4 vertauenswürdige CA-Zertifikate zu verwalten störten besonders die vielen Abstürze und IMAP-Probleme (leere Ordner, die man teilweise mehrfach neu anwählen muss bis mal ein Inhalte geladen wird) und natürlich das Akonadi-Desaster. Das Synchronisieren einer größeren Ordnerstruktur unter Verwendung von "Disconnected-IMAP" dauerte auch um einiges länger als bei anderen E-Mail-Programmen (und das reguläre IMAP hat keinerlei Cache, das will man auch nicht). Aber wie steht es um die Alternativen, insbesondere wenn man GNOME als Desktop-System verwendet?
Vor Jahren noch ein untaugliches Schwergewicht hat sich
Evolution zu einem Programm entwickelt, mit dem Nutzer ohne tiefergehende Anforderungen durchaus zurecht kommen können. Für mich fehlt insbesondere das Feature, dass das Programm beim Schreiben neuer Nachrichten die Identität anhand des grade aktiven IMAP-Ordners wählt. Aufgrund dieser grundlegenden Schwäche habe ich Evolution keinem weiteren Test unterzogen. Schon zu oft habe ich in der Vergangenheit versehentlich an Kunden mit meiner privaten Absenderadresse geantwortet.
Mein E-Mail-Programm für den bisherigen Test-Zeitraum ist
Claws-Mail. Vor einigen Jahren hieß das Programm mal Sylpheed, dann wurde Sylpheed-Claws abgespalten und nun als eigenständiges Projekt weiter geführt. Die Zielgruppe des Programms ist offensichtlich der professionelle Anwender dem die Optik und Maus-Bedienung nicht ganz so wichtig ist. Die Oberfläche ist zwar schon lange auf GTK-2 portiert, die Optik hat sich aber nicht geändert, es sieht einfach nach einem GTK-1-Programm aus und verhält sich auch großteils so. Ich komme mit Claws-Mail grundsätzlich zu Recht, Spaß macht es aber nicht. Das Fehlen der Bugs von KMail fällt positiv auf, es bietet die Features die ich als notwendiges Kriterium angesetzt habe. Dennoch werde ich es wohl nicht langfristig einsetzen. Das liegt an der Usability, die nicht mit der Veränderung der Usability aller modernen grafischen Benutzeroberflächen mitgezogen hat und daher nicht zu allen anderen Programmen passt, die ich parallel nutzen will. Auch wenn ich viel auf der Konsole arbeite, ich will bei einem grafischen E-Mail-Programm einiges mit der Maus erledigen. Und da stechen bei Claws einige Probleme heraus: Claws ist das erste grafische E-Mail-Programm das ich kenne, bei dem man die Absender- und Empfänger-Adressen nicht per Rechtsklick kopieren kann bzw. durch Draufklicken eine E-Mail schreiben kann. Außer man verwendet die im Mail-Text eingebettete Anzeige der Header, die aber wesentlich weniger konsistent ist und daher an Übersichtlichkeit verliert. Mir ist es lieber wenn die relevanten Kopfdaten in einer aufbereiteten Form angezeigt werden. Das Verarbeiten von Datei-Anhängen ist auch sehr wenig optimal gelöst. Der typische Arbeitsablauf ist es, die Nachricht zu lesen und den Anhang danach zu öffnen. Es ist also naheliegend, den Anhang (wie es viele andere Programme tun) unter dem Nachrichtentext anzuzeigen. Entweder als Symbol oder (noch besser) z.B. Bilder gleich sichtbar angezeigt. Solche Dinge kennt Claws nicht, es gibt eine Struktur-Leiste, die alle Elemente einer MIME-Nachricht aufdröselt und es ist am Benutzer zu entscheiden welcher der typischerweise 4-5 MIME-Parts der Anhang ist, den man haben möchte. Und selbst wenn man ihn angeklickt hat, werden die möglichen Verfahrensweisen (Öffnen, Speichern) als Fließtext (!) angeboten wo man das jeweilige Wort treffen muss. Das ist etwas mit dem ich halbwegs leben kann aber gut finde ich es nicht. Und meiner Mutter will ich das auch nicht erklären müssen.
Terminal
Erfreulicher Weise verhalten sich GNOME-Terminal und KDE-Konsole ausreichend gleich, so dass ich schlicht sagen kann dass es für mich keinen Unterschied macht, welches der beiden Programme ich einsetze. Ich bin grade dabei, mich von Strg+Shift+N auf Strg+Shift+T umzugewöhnen, aber das ist schon der einzige für mich relevante Unterschied.
Browser / Office
Da Konqueror schon seit geraumer Zeit nicht mehr als normaler Browser benutzbar war, erübrigt sich hier der Vergleich. Es gibt Leute die mich unbedingt zu Chrom(e|ium) ermutigen möchten, aber eigentlich habe ich an Firefox wenig auszusetzen und bleibe daher dabei. Egal unter welcher Oberfläche. Selbes gilt natürlich auch für Schreibprogramme, Ob das Dingen jetzt OpenOffice oder LibreOffice heißt, spielt da keine Rolle. Sowohl KOffice als auch GNOME-Office ist keine ernsthafte Alternative.
File-Manager / Desktop-System
Nach einer langen Durststrecke in der Konqueror fallen gelassen wurde wie eine heiße Kartoffel und Dolphin noch völlig unbrauchbar schlecht war, hatte ich unter KDE am Ende doch Dolphin schätzen gelernt. Die Zwei-Fenster-Ansicht nutze ich zwar nicht wirklich im Norton-Commander-Stil, hatte jedoch immer wieder den Fall dass ich zwei "Tasks" brauche: Editor und "Datei-Kopier-System". Da war der Zwei-Fenster-Dolphin schon nett, da es trotzdem nur ein Eintrag in der Task-Liste war. Nautilus kennt diese Split-View-Ansicht nicht, ist aber ansonsten vergleichbar und gefühlt nochmals schneller als Dolphin. Das Verbinden zu Remote-Locations geht unter GNOME erfreulich gut, man kann unter GNOME sogar Dateien einer fremden Location in LibreOffice öffnen. Leider kann man (unter Verwendung des GNOME-File-Dialog) in LibreOffice zwar direkt auf die Remote-Locations zugreifen und Dateien öffnen, das Speichern einer neuen Datei geht jedoch nicht.
Foto-Verwaltung
Ich will mein
DigiKam zurück. Nutzt eigentlich irgend jemand ernsthaft diese GNOME-Foto-Programme (F-Spot oder Shotwell)?
Ubuntu
Weil mit der Administrationsaufwand meines vorherigen Gentoo-Systems etwas angenervt hat, habe ich im Zuge dieser Evaluation gleich auf Ubuntu (11.04) umgestellt. Für den radikalen Umstieg auf Unity hat meine Courage nicht gereicht, ich beurteile daher nur "Ubuntu Classic" alias GNOME. Negativ fiel dabei auf, dass Ubuntu meiner Meinung nach mit viel zu viel Web-2.0-Gedöns nervt. Exemplarisch dafür: Der Kalender verliert durch die Evolution-Integration z.B. sein wichtigstes Feature. Schon seit Jahren kann man den GNOME- und den KDE-Kalender durch reinen Klick auf die Task-Leisten-Uhr öffnen und er bleibt im Vordergrund offen auch wenn das Applet den Fokus verliert. Das ist besonders praktisch um während des Schreibens eines Briefs einen Kalender im Sichtfeld zu haben und war nebenbei bemerkt lange Zeit mein Standard-Gimmick wenn ich den Leuten sagen will warum Linux so toll gegenüber Windows ist. Dieses Killer-Feature hat der verkrüppelte Standard-Kalender von Ubuntu nicht mehr. Man kann allerhand Anwendungen mit der Stichwort "indicator" deinstallieren und z.B. den alten Kalender wieder manuell ins Panel aufnehmen, aber besonders ruhmreich finde ich das Vorgehen von Ubuntu nicht.
Fazit
Den idealen Desktop habe ich nicht gefunden. Ich bin über einige Dinge gestolpert, die mir jetzt positiv auffallen, so dass ich vermutlich in absehbarer Zeit kein KDE mehr nutzen möchte. Im Bereich der Anwendungsprogramme gibt es aber noch die eine oder andere Problemzone.